Bernhard Hertlein und Asif vor dem Foto eines Opfers der Rana-Plaza-Katastrophe.
Die Textilindustrie in Bangladesch steht im Mittelpunkt unserer Reihe "Gerechtigkeit anziehen". Der Queller Wirtschaftsjournalist Bernhard Hertlein, langjährig bei Amnesty international aktiv, unterstützt uns dabei mit Bildern für die Fotoausstellung und trägt auch etwas um Politischen Gottesdienst bei (16.2., 18 Uhr). Im Interview berichtet Hertlein über die Lage in der Textilindustrie von Bangladesch.
Ist die Lage in der Textilindustrie in Bangladesch wirklich so schlimm wie die Nachrichten glauben machen?
Bernhard Hertlein: Ja – und nein. Es kommt sehr auf den Arbeitgeber an. Es gibt in Bangladesch Fabriken mit sehr sozialen Arbeitsbedingungen – sieht man mal von den eigentlich immer sehr niedrigen Löhnen ab. Viele der oft schlimm baufälligen Gebäude wurden in den vergangenen Monaten geschlossen. Es sieht so aus, als achteten gerade die Exporteure jetzt mehr auf die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften. Geblieben sind Berichte über Arbeitstage mit bis zu 16 Arbeitsstunden.
Wie hoch ist der Lohn eines Beschäftigten? Reicht das zum Leben?
Hertlein: Der Mindestlohn wurde gerade auf umgerechnet 46 oder 47 Euro monatlich erhöht. Vorher waren es circa 28 Euro. Doch auch 47 Euro sind in der Umgebung von Dhaka zu wenig zum Leben, wenn niemand in der Familie mitarbeitet und zudem monatlich eine Wohnraummiete zu bezahlen ist.
Das Unglück von Rana Plaza mit mehr als 1100 Toten hat uns erschüttert. Wie ist es um die Sicherheit in den Textilfabriken bestellt?
Hertlein: Schon vor dieser Katastrophe gab es andere, bei denen Feuerlöscher fehlten, der Alarm nicht funktionierte und nicht nur die Not-, sondern sogar die ganz normalen Ausgänge abgeschlossen waren. Inzwischen wurden die Kontrollen sowohl auf Seiten der Regierung als auch der Abnehmer im Westen intensiviert.
Auch deutsche Firmen lassen in Bangladesch produzieren. Tragen Sie eine Mitschuld an den Verhältnissen?
Hertlein: Ja – wenn sie sich nicht darum gekümmert haben, unter welchen Bedingungen dort Kleidung produziert wird. Die Arbeiterinnen und Arbeiter sind in das baufällige Gebäude von Rana Plaza mit dem Argument gezwungen worden, ausländische Abnehmer würden sonst die Ware nicht bezahlen und damit könnten auch die Löhne nicht ausgehändigt werden. Kik hat zuerst bestritten, in der Unglücksfabrik produziert zu haben – bis Rettungskräfte T-Shirts, die für den deutschen Discounter bestimmt waren, in Reporterkameras hielten.
Kann man solche Billigware jetzt noch guten Gewissens kaufen?
Das muss jeder für sich selbst entscheiden.
Was können wir als Verbraucher tun? Keine Billigkleidung mehr kaufen?
Hertlein: Zumindest nicht ohne nachzufragen, wo und unter welchen Bedingungen sie produziert wurden. Warum nicht eine Bluse weniger kaufen, dafür aber eine von einem Markenhersteller, der für faire Produktionsbedingungen gerade steht? Zwar kann auch ein Markenhersteller täuschen. Doch wenn die Sache aufgedeckt wird, sind sein guter Name und alle Ausgaben für Werbung dahin. Das ist keine absolute Garantie. Aber garantiert kann ein T-Shirt, das hier für drei Euro oder so verkauft wird, normalerweise nicht zu fairen Bedingungen hergestellt worden sein.
Wäre ein Boykott von Kleidung made in Bangladesch eine Lösung?
Hertlein: Nein. Durch einen Boykott würden Millionen Textilarbeiterinnen ihren Lebensunterhalt verlieren. Deshalb lehne ich ihn ab. Sowohl das Land Bangladesch als auch Millionen Menschen brauchen diese Einnahmequelle.
Welche Perspektiven haben die Textilarbeiter? Gibt es Anlass zur Hoffnung?
Hertlein: Hoffnung besteht, so lange die Verbraucher hier nicht gedankenlos einfach das Billigste in den Einkaufskorb legen. Das gilt nicht nur für Bekleidung, sondern zum Beispiel auch für Lebensmittel und andere Produkte. Ansonsten spricht nichts dagegen, dass Bangladesch wirtschaftlich den Weg Chinas geht und die Textilindustrie als Sprungbrett für höhere Stufen der Entwicklung nutzt.