Predigt für den Gottesdienst zur Einführung des Presbyteriums am 22. März 2020 - der wegen der Corona-Pandemie abgesagt werden musste

Von Claudia Boge-Grothaus

 

Predigttext: Apostelgeschichte 6, Verse 1-7
In diesen Tagen aber, als die Zahl der Jünger zunahm, erhob sich ein Murren unter den
griechischen Juden in der Gemeinde gegen die hebräischen, weil ihre Witwen übersehen
wurden bei der täglichen Versorgung.
2 Da riefen die Zwölf die Menge der Jünger zusammen und sprachen: Es ist nicht recht, daß
wir für die Mahlzeiten sorgen und darüber das Wort Gottes vernachlässigen.
3 Darum, ihr lieben Brüder, seht euch um nach sieben Männern in eurer Mitte, die einen
guten Ruf haben und voll heiligen Geistes und Weisheit sind, die wir bestellen wollen zu
diesem Dienst.
4 Wir aber wollen ganz beim Gebet und beim Dienst des Wortes bleiben.
5 Und die Rede gefiel der ganzen Menge gut; und sie wählten Stephanus, einen Mann voll
Glaubens und heiligen Geistes, und Philippus und Prochorus und Nikanor und Timon und
Parmenas und Nikolaus, den Judengenossen aus Antiochia.
6 Diese Männer stellten sie vor die Apostel; die beteten und legten die Hände auf sie.
7 Und das Wort Gottes breitete sich aus, und die Zahl der Jünger wurde sehr groß in
Jerusalem. Es wurden auch viele Priester dem Glauben gehorsam.


 Liebe Gemeinde!

Von Christen wird erwartet, dass sie Nächstenliebe üben und wenigstens untereinander gerecht miteinander umgehen.
Und dann so etwas: Da werden offenbar die einen in der Gemeinde bevorzugt, weil sie einer bestimmten Volksgruppe angehören. Und die Benachteiligten beschweren sich so massiv über dieses Unrecht, dass sich die Gemeindeleitung gezwungen sieht, Abhilfe zu schaffen.
Es menschelt, wie man so schön sagt, und das bereits in der Urchristengemeinde, in der unmittelbaren Nachfolge Jesu.

Ärgerlich, höchst ärgerlich finde ich das, denn schließlich waren die Worte Jesu über den Umgang miteinander, über die Nächstenliebe doch mehr als deutlich. Und dann geschieht sowas: wie im Kindergarten streiten sich die Menschen um die gerechte Zuteilung von Essen an notleidende Witwen und Waisen. Als ob eine Gemeinde nichts Wichtigeres zu tun hätte.


Nichts Wichtigeres, sagte ich das?
Ich muß mich wohl korrigieren. Diese Angelegenheit ist im hohen Maße wichtig und ernst zu nehmen. Der Streit zwischen den verschiedenen Gruppen entzündet sich schließlich nicht, weil die Gemeindeleitung mit Absicht eine bestimmte Volksgruppe benachteiligt, sondern weil sie schlicht und ergreifend überfordert ist mit den vielfältigen Aufgaben, die sich nach und nach einstellen.
Der Konflikt zwischen den hebräischen und griechischen Witwen und Waisen konnte nur deshalb entstehen, weil gerade auch willige Gemeindeleitungen eben nicht alles im Blick haben können. Schließlich handelt es sich auch bei den Aposteln damals um Menschen. Anfangs war ihr Aufgabengebiet klar umrissen: Sie sollten den Menschen von Jesus erzählen, mit dem sie durch Israel gezogen waren. Und sie sollten in seiner Nachfolge Menschen heilen und sie trösten. So hatte er es in seinem Tauf- und Missionsbefehl deutlich gesagt.


Also, sie sollten die klassischen Aufgaben eines Gemeindepfarrers versehen: Lehre, Verkündigung und Seelsorge.
Sie sehen schon: eine Pfarrerin heilt heute nicht mehr wie es die Jünger taten, diese Aufgabe wurde schon früh an die Ärzte abgegeben. Aber ansonsten ist es so geblieben wie in der Apostelgeschichte beschrieben.
Es geht im heutigen Predigttext also um Aufgabenverteilung und um das Delegieren von Anforderungen, die nicht zum Kernbereich gehören.
Ein Predigttext, den ich nicht zufällig ausgewählt habe. Es ist der Text, der zu einem Gottesdienst gehört, in dem AmtsträgerInnen eingeführt bzw. verabschiedet werden.
Also ein passender Text für unsere heutige Situation.

Nun, Armenpfleger waren und sind Presbyterinnen* heutzutage eher selten, obwohl die Hilfe für Notleidende auch zum Aufgabengebiet einer Kirchengemeinde gehört. Und in den letzten Jahren wird dies immer mehr: Da klingeln Menschen, wenn am Ende des Geldes noch so viel Monat übrig ist, an der Pfarrhaustür, sie rufen im Gemeindebüro an oder fragen nach, ob man eine Zahnbehandlung oder die Schulausrüstung des Kindes übernehmen kann. Die Diakoniekasse unserer Kirchengemeinde hat ordentlich zu tun. Und gerade in Coronazeiten, wenn die Tafeln schließen, ist noch mal mehr Engagement gefordert.


Nach wie vor entlasten Presbyter* den oder die Pfarrerin* bei der Wahrnehmung der Kernaufgaben: Verkündigung, Lehre und Seelsorge.
Ein Pfarrer kann auch heute noch nicht alles alleine machen, auch wenn manche meiner Spezies das immer wieder denken und dann daran scheitern.
Die Aufgaben einer Kirchengemeinde auch in solch einer wie hier bei uns in Quelle und Brock sind seit dem 1. Jh. n. Chr. immens gewachsen:
Außer der Verkündigung, Lehre und Seelsorge geht es vor allem um die Finanzen, um die Mitarbeiterpflege, um Einstellungen, um Gebäude, um Kirchenmusik um Veranstaltungen, um neue Ideen... Ach, wenn die Witwen und Waisen von damals unsere heutigen Probleme sähen, dann würden sie nicht so viel Wirbel um ihre Situation machen…


Obwohl, ich finde es gut, dass sie es damals taten. Denn dadurch wissen wir heute, dass es niemals eine goldene und selige Zeit der Christenheit gegeben hat. Früher war eben nicht alles besser, sondern unsere heutigen Probleme im Miteinander einer Gemeinde sind bereits unter den ersten Christen* in Jerusalem aufgetaucht. Und selbst die Apostel, also die Jünger* Jesu, waren schlicht überfordert bei dem Versuch, es allen Recht machen zu wollen.


Wie gut, dass sie diese zündende Idee hatten. Wie gut, dass sie sich Armenpfleger, also die mit den diakonischen Aufgaben, zu Hilfe geholt haben. Wie gut, dass die Apostel damals bereit waren zu delegieren, weil sie einsahen: „Wir schaffen das nicht alleine, wir brauchen all unsere Energie für die drei Kernaufgaben  Seelsorge, Lehre und Verkündigung.“

Wie gut, dass es noch heute Menschen gibt, die sich bereit erklären, Presbyterinnen und Presbyter zu werden.
Die es ernst meinen mit dem Dienst am Nächsten, die dem Pfarrer bzw. der Pfarrerin tatkräftig und mit ihrer je eigenen Kompetenz unter die Arme greifen wollen. Die den Pfarrdienst entlasten von allem, was die Energie für die Kernaufgaben rauben könnte.


Heute wurden vier dieser wunderbaren Spezies Gemeindeglied verabschiedet: Jörg Hartmann, Malte Hausmann, Wolfhard Kaschubat und  Heide Teschner. Wie bereits mein Kollege Matthias Dreier gesagt hat, haben alle vier in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten dafür gesorgt, dass nicht nur der „Laden läuft“, sondern dass das Miteinander in der Kirchengemeinde gestaltet werden will. Dafür gebührt ihnen unser großer Dank.


Dankbar dürfen wir aber auch dafür sein, dass sich zusätzlich zu den langjährigen Mitgliedern Wolfgang Brinkmann, Michael Gleisberg, Peter Jacobebbinghaus, Bernd Meyer-Jarchow und Jens Sommerkamp mit Meike Oszmer und Roland Schultze zwei neue Gemeindeglieder gefunden haben, die im Sinne der Apostelgeschichte mit ihren Kompetenzen zur Entlastung des Pfarrers bzw. der Pfarrerin beitragen wollen. Damit wird unser Presbyterium drei Stellen weniger besetzt haben als vorgesehen. Und wir hoffen, dass sich in den kommenden Wochen und Monaten noch Menschen finden werden, die sich für die nächsten 4 Jahre nachberufen lassen wollen.

Die neuen alten Presbyteriumsmitglieder und die beiden ganz neuen  sollen gleich unsere Gebete und Gottes Segen mit auf den Weg bekommen. So wie es damals auch in der ersten Christengemeinde in Jerusalem geschah: die beteten und legten die Hände auf sie.


Noch etwas ist wichtig: Die Wahl der Armenpfleger in der Apostelgeschichte ist keine Privatangelegenheit der Apostel, sondern geschieht in aller Öffentlichkeit. Damit wird allen klar: Wir alle miteinander sind es, die das Leben in unserer Johanneskirchengemeinde Quelle-Brock christlich gestalten, wir alle sollen dafür sorgen, dass es weniger menschelt dafür aber umso mehr voller Nächstenliebe sich hier leben und arbeiten lässt. Die einen, Pfarrer* und Presbyterium, die werden mit ihren Aufgaben betraut. Die anderen, die Gemeinde, die Mitarbeitenden, wir alle miteinander, wir tragen im Gebet und im hoffentlich liebevollen Miteinander die Verantwortung dafür, dass das Presbyterium zusammen mit dem Pfarrer bzw. der Pfarrerin die Gemeinde in der Nachfolge Jesu begleitet. Und Nachfolge heißt: Seelsorge, Verkündigung, Lehre und die Diakonie, also die Armenfürsorge, wie es in der Apostelgeschichte heißt.


Möge Gott uns allen dazu seine Kraft und seinen Segen geben.
Amen



Anmerkung der Autorin: Wegen der Reduzierung der Ansteckungsgefahren und der Einschränkung von gottesdienstlichen Handlungen hat die Kirchengeminde bereits in ihrer Presbyteriumssitzung am 17. März das alte Presbyterium verabschiedet und das neue eingeführt (siehe Podcast). Dennoch soll die bereits vorbereitetet Predigt für den eigentlichen Einführungstermin an dieser Stelle nicht „unter den Tisch fallen“.

Ich würde mich auch im Namen des Presbyteriums freuen, wenn die Lesegemeinde das folgende Gebet sprechen würde:
Lasst uns für unsere Presbyterin und unsere Presbyter beten:
Gott, du rufst uns in deinen Dienst und schenkst uns Fähigkeiten, die wir dazu brauchen.
Wir bitten dich für unsere (neuen und alten) Presbyterinnen und Presbyter: Schenke ihnen Herz und Verstand für ihre Beratungen und Entscheidungen.
Für ihren Umgang miteinander gib ihnen Geduld und Humor.
Lass durch ihre Arbeit deinen Geist unter uns wirksam sein.
Das bitten wir durch Christus, unsern Herrn. Amen