Das wird mal doch wohl noch sagen dürfen

Predigt im Politischen Gottesdienst "Das wird man doch wohl noch sagen dürfen" am 26. Januar 2020

Von Claudia Boge-Grothaus

Liebe Gemeinde!
Das wird man wohl noch sagen dürfen!?
Nein, darf man nicht und Frau auch nicht!

Beispiel gefällig?
Ich selbst erwische mich regelmäßig bei Naziaufzügen oder rechtsradikalen Anschlägen wie am 12.10.19 auf die Synagoge in Halle bei dem Gedanken, dass ich diesem „Nazigesocks“ (Huch, schon ist es wieder passiert!) Tod und Hölle an den Hals wünsche. Nur: Würde es was bringen, wenn alle Nazis weg wären?

Wäre damit auch deren Ideologie weg? Würden dann die Respektlosigkeiten im Internet, die Morddrohungen gegenüber PolitikerInnen, Kirchenleuten die sich wie der Ratsvorsitzende der EKD, Herr Bedford- Strohm, für die Rettung Schiffbrüchiger Flüchtlinge einsetzen oder wären dann die Stinkefinger und Hupkonzerte am Combikreisel in Quelle, die Ablehnung von Zuzug von Menschen mit Migrationshintergrund...und und und. Wäre das dann vorbei, wenn alle Nazis ausgelöscht wären?

Zugegeben, das ist eine rhetorische Frage. Natürlich nicht, denn Hasskommentare, Populismus, Abwertung Andersdenkender und -aussehender finden sich in allen Teilen der Bevölkerung. Links wie rechts, Ökos wie Wirtschaftsliberale und auch Otto und Wilma Normalverbraucherin schwingen gerne die Populismuskeule: „Das wird man wohl noch sagen dürfen.“

Nein, darf man nicht! Das sage ich hier ganz deutlich und fasse mir dabei an meine eigene Nase, siehe oben!

Und warum nicht? Weil ich Pfarrerin bin? Nein. Obwohl, natürlich stehe ich besonders im Focus der Öffentlichkeit. Das was ich sage, hat Gewicht. Man ist Vorbild, Frau auch, ich trage Verantwortung.
Aber dann dürften ja alle außer mein Berufsstand sagen, wie es ihnen grade passt.
Nein, dürfen sie nicht. Niemand darf das.

Na klar, diskutieren um das Für und Wider von Meinungen, das Ringen um Kompromisse, das alles ist selbstverständlich erlaubt und wichtig. Bloß: Muss dabei die Populismuskeule geschwungen werden?
Wer sagt: „Das wird man doch noch sagen dürfen“, der outet sich in aller Öffentlichkeit als zu feige, sich einer Diskussion um das Für und wider angemessen zu stellen.

Wer sagt: „Das wird man doch noch sagen dürfen…“ will gar nichts sagen, sondern versteckt sich vor sich selbst. Ich gebe zu, dieser Gedanke ist nicht von mir, er stammt von Jean-Claude Juncker- dem ehemaligen Kommissionspräsident der EU.

„Das wird man doch noch sagen dürfen“ verbietet sich aus noch ganz anderen Gründen, die etwas mit dem Glauben an Gott und an die Liebe Jesu zu tun haben.

Darum hat sich unsere Kirchengemeinde im vergangenen Jahr auch dem Aufruf gegen Rassismus und Antisemitismus des Bündnisses gegen Rechts angeschlossen, weil wir aktiv gegen die Lügen der Nazis entgegentreten wollen und müssen. Und das nicht nur am 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz. Nein, Weil wir grundsätzlich sagen: „Holocaustleugnung ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!“
Als gläubige Menschen, in unserem Fall als Christinnen und Christen, wissen wir um die Wirkmacht des gesprochenen (und des geschriebenen) Wortes.

„Im Anfang war das Wort. Und das Wort war bei Gott.“ So beginnt das Johannesevangelium. Und nimmt damit Bezug auf die ganze hebräische Bibel.

Mit dem Wort schafft Gott das Leben – kann man im Schöpfungsbericht nachlesen.
Mit dem Wort bringt Gott Sintflut und Verzweiflung in die Welt – kann man in der Geschichte von der Arche Noah nachlesen.

Die Sprachverwirrung als Folge der menschlichen Hybris im Turmbau zu Babel zeugt davon, wie wichtig das Wort ist, um friedlich miteinander umgehen zu können oder eben nicht.

Der Seher Bileam soll gegen Geld Fluchworte gegen Israel aussprechen. Gott sorgt durch einen Engel dass aus den Fluchworten Segensworte werden.

Worte sind wirkmächtig. Wer nur einmal Opfer von Mobbing und anderen Verbalattacken geworden ist, weiß: da bleibt was an einem hängen, auch wenn man genau weiß, dass man nicht faul, dumm, blöd, zum Kotzen, asozial, ...ist. Immer wird man sich in Zukunft fragen: Bin ich fleißig genug, sozialkompetent genug, freundlich und hilfsbereit genug oder muss ich mich noch mehr anstrengen, damit mich solche Worte nie mehr treffen?Ja, das habe ich selbst schon erlebt…

Worte sind wirkmächtig.
Gottes Worte und erst recht Menschenworte. Positive Worte bringen Segen: „Das hast Du toll gemacht“ „Danke, schön, dass Du da bist!“ - Wer das zu hören bekommt, blüht auf, bekommt neue Energie und sorgt für weitere Erfolgserlebnisse.

Aber „Das wird man doch noch sagen dürfen“-Worte bringen immer Fluch und Vergiftung des Miteinanders, niemals aber eine Veränderung oder gar eine Problemlösung.
Das ist wie Schläge: Die bringen keine Lösung, sondern nur noch mehr Gewalt.
Darum sind Worte die mit „Das wird man doch noch sagen dürfen“ vorgebracht werden, so schädlich. Und wir müssen ihnen als von Gott angesprochene Menschen, als Christenmenschen besonders, entgegentreten.

Bloß wie sollen wir es machen? Und wie kann ich mich selbst schützen, nicht in die Populismusfalle zu geraten?

„Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. 2 Dasselbe war im Anfang bei Gott. 3 Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. 4 In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen.
14 Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“

Der Beginn des Johannesevangeliums gibt einen guten Hinweis auf einen christlichen Weg gegen die Populismusfalle, gegen Hasskommentare, gegen Provokationen, gegen Dummgequatsche und gegen Fake News aller Art:

Jesus ist dieses „fleischgewordene Wort Gottes“, so unser Glaube als Christen. Und dieser Jesus hat uns Wege aufgezeigt, die wir gehen können und die tatsächlich Segen statt Fluch in die Welt bringen.
Ich erinnere an die Seligpreisungen aus der Bergpredigt. Sie sind hier vorne auf dem Epitaph aufgeschrieben. Da geht es um Barmherzigkeit, um Friedfertigkeit, um Trost, um Annahme und um Seelenheil von Menschen in der Liebe Gottes.

An anderer Stelle in der Bergpredigt nimmt Jesus konkret Bezug auf das Tötungsverbot im Dekalog. Und er wird ganz konkret: Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist (2. Mose 20,13; 21,12): »Du sollst nicht morden«; wer aber mordet, der soll des Gerichts schuldig sein. 22 Ich aber sage euch: Wer mit seinem Bruder zürnt, der ist des Gerichts schuldig; wer aber zu seinem Bruder sagt: Du Nichtsnutz!, der ist des Hohen Rats schuldig; wer aber sagt: Du Narr!, der ist des höllischen Feuers schuldig.“

Populismus gab es bereits zu Jesu Zeiten. „Du Nichtsnutz“ - Menschen werten andere ab. Jesus weiß um die Wirkmächtigkeit solcher Worte und stellt klar: Diese Worte sind Mordwerkzeuge, denn sie töten mein Gegenüber genauso wie es ein Mörder z.B. mit einem Messer tut.

Das, liebe Gemeinde, das ist für mich persönlich meine Alarmleuchte, die immer dann angeht, wenn ich (siehe oben!) selbst in die Populismusfalle gerate.

Nein, ruft mir dann Jesus zu. Werde nicht zur Mörderin Deines Gegenübers, auch nicht in Gedanken. Und wenn Jesus damals schon das Internet gekannt hätte, dann hätte er vielleicht auch gesagt: Verstecke dich nicht hinter der Anonymität, sondern sprich dich im Hellen mit deinem Gegenüber aus.
Jean-Claude Juncker hat noch etwas gesagt, was hier nicht fehlen darf: „Man darf Populisten nicht hinterherlaufen, man muss sich ihnen in den Weg stellen.“

Und auch hierfür hat Jesus in der Bergpredigt einen klugen, wenn auch schwer verständlichen Satz gesagt: „Wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt, dem biete auch die andere dar.“
Das bedeutet: Wenn mich ein Populist mit seiner unsäglichen Hetze provozieren will, dann soll ich eben nicht mit Gegenhetze antworten, sondern durch aktives Aushalten dem Ganzen den Wind aus den Segeln nehmen.

Im Combikreisel geht das ja noch ganz einfach: Wenn ich angehupt werde, dann soll ich also nicht zurückhupen, sondern auch wenn ich eigentlich recht habe, dem anderen vielleicht noch mit einer galanten Handbewegung den Vortritt lassen. Geschenkt! Das kann ich gleich heute in die Tat umsetzen.

Doch was mache ich, wenn ich massiv mit volksverhetzenden Sätzen z.B. auf einer Geburtstagsfeier angegangen werde?
Was mache ich, wenn ich nicht nur als Nichtsnutz beschimpft werde, sondern im Netz mein Tod gefordert wird, wenn meine Familie bedroht wird (Gott sei Dank ist das bisher noch nicht geschehen…)?
Wie kann ich Populismus, Fake News… auf gewaltlose, aber bestimmte und klare Weise begegnen?
Wie kann ich klar sagen: Diskussion um die Sache mit Sachargumenten, Rede und Gegenrede, Ja, aber niemals unterhalb der Gürtellinie, niemals in herabwürdigender Weise, sondern auf Augenhöhe und mit Respekt voreinander?Wie kann ich mit wirkmächtigen Worten voller Barmherzigkeit Fluch in Segen verwandeln? Wenn mein Innerstes eigentlich zurückschlagen möchte und Tod und Hölle wünschen möchte?

Ich weiß nicht ob ich es damals richtig gemacht habe, aber ich nenne ein Beispiel aus meinem Alltag:
Bei einem Beerdigungsgespräch outete sich der Angehörige als rechtsradikaler Maulheld. Er beschimpfte die Flüchtlingshelfer als „Gutmenschen“. Ich antwortete ihm, dass ich selber auch in der Flüchtlingshilfe tätig sei und lieber ein Gutmensch wäre als ein Nazihetzer. Und jetzt sollten wir doch das eigentliche Besprechen, nämlich die Trauerfeier.“ Und dann konnten wir weiterarbeiten.

Ja, ich weiß, ich habe diesem Menschen seine Naziideologie nicht ausgetrieben, aber ich habe in dem Moment meine andere Backe hingehalten, statt zurückzuschlagen, sprich mit Weggehen zu drohen.“
Was mir hilft ist: Ich besinne mich auf meine eigene Werthaltung. Und die ist von der Erfahrung von Nächstenliebe und von der Liebe Gottes zu jedem seiner Geschöpfe geprägt.

Ich bleibe möglichst ruhig und frage mich: „Was würde Jesus jetzt tun/sagen/nicht tun/nicht sagen?“
Und dann kann ich nachfragen, klarstellen, mein Gegenüber als Geschöpf Gottes annehmen und gleichzeitig dessen Position klar ablehnen.

Das hilft. Und so kann aus dem Fluch des Populisten, aus dem Versuch, die Atmosphäre mutwillig zu vergiften doch noch ein Segen werden.

Und wer jetzt einwendet, dass ja nicht jeder an Gott glaubt und dass man dann ja nicht mit Jesus oder so kommen kann, dem sage ich: Ja, aber ich glaube an Gott und meine innere Haltung bekommt dadurch Halt und Rückrat, Widerstandskraft aus dem was Jesus zur Gewaltlosigkeit in der Bergpredigt sagt, aus dem, was über die Wortmacht Gottes in der ganzen Bibel erzählt wird.

Und für alle anderen in unserem Land und für mich auch gilt auf jeden Fall das was im Grundgesetz in Artikel 1 steht:1Die Würde des Menschen ist unantastbar. 2Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Navid Kermani, der deutsch-iranische Schriftsteller und Friedenspreisträger des dt. Buchhandels,  hat in seiner Rede 2014 zur Feier von 65 Jahren Grundgesetz im Bundestag über den Artikel 1 gesagt: „Beide Sätze sind nicht wahr, aber beide bewahrheiten sich gegenseitig.“ Das möchte ich selbst deutlich unterstreichen und mir zu Herzen nehmen. Und darum bin ich davon überzeugt, dass man/frau eben nicht alles sagen darf.

Und noch etwas stärkt mich: Gottes Absichten sind voller Gnade und Wahrheit. < So jedenfalls steht es im Johannesprolog. Wenn ich etwas aussprechen will, sollte ich mich immer kurz fragen: sage ich etwas voller Wahrheit und in friedlicher, gnädiger Absicht?
Wenn meine Antwort „Nein!“ lautet,
Dann wird man das auch nicht sagen dürfen. Punkt.

Aus Gottes Mund bewirkt das Wort Neuanfang, Licht für die Menschen, Gnade und Wahrheit. So der Johannesprolog.

Menschen, die etwas aus der Kategorie„Das wird man wohl noch sagen dürfen“  - sagen Worte der Finsterniss aus den Abgründen ihrer Seele. Sie wollen den Schaden eines anderen Menschen, die Abwertung einer Gruppe/Religion/Lebensweise. -  niemals aber etwas, das den anderen aufrichtet. Und schon gar nicht etwas, das das Zusammenleben verbessert und eine positive Veränderung der Situation bringt.

Ich komme noch mal zum Anfang meiner Predigt zurück: Gott hat anfangs die Menschen bestraft, hat auf Bosheit selber mit Tod geantwortet: Sintflut, Babyloisches Exil.. Aber dann hat Gott angefangen, bereits in der hebräischen Bibel!!! mit Barmherzigkeit zu reagieren und später in Jesus seine Gnade anfassbar zu machen.

Diese Gnade verpflichtet uns alle zum deutlichen Nein gegenüber den Sätzen, die mit „Das wird man doch noch sagen dürfen“ oder ähnlichem beginnen.

Wir tragen Verantwortung für die Welt und für jedes Wort, das unseren Mund verlässt. Gott ist uns mit gutem Beispiel vorausgegangen: Aus seinem Mund kam mit Jesus der Neuanfang, der via positiva für die Welt.

Wenn Jesus etwas nicht passt, dann sagt er es ganz klar und auch mit aller rhetorischen Raffinesse, aber eben mit Liebe, ehrlich, achtsam und immer die Würde des Gegenübers auf Augenhöhe!
Das will ich mir hinter die Ohren schreiben und noch besser ins Herz, damit meine Zunge nichts über die Lippen lässt, was man eben nicht sagen darf und auch meine Finger nichts in die Tastatur hauen, was mich selbst und mein Gegenüber zerstört.

Schließlich war im Anfang das Wort bei Gott und ich als eines der Milliarden Ebenbilder sollte mich ebenbürtig verhalten, es wenigstens versuchen.
Amen