Eine Quelle, die nie versiegt
Von Claudia Boge-Grothaus
Ein schönes Bild, das der Prophet Jesaja mir vor Augen malt. Ich muß an die sonnendurchfluteten Gartenanlagen der Alhambra in Granada in Südspanien denken. Die maurischen Herrscher erbauten diesen noch heute einmaligen orientalischen Palast, durchzogen von Brunnen und grünen Gärten. Solch einen bewässerten Garten hat Jesaja wahrscheinlich vor Augen als er den heutigen Predigtext verfasste.
Und dann taucht noch ein Bild in meinem Inneren auf: ich erinnere mich an den erfrischenden Genuß von Quellwasser nach einer langen Wanderung durch den Teutoburger Wald. Klar und rein und ziemlich kalt sprudelt das Wasser aus dem Felsen. Jesaja nennt es: Eine nie versiegende Quelle, ein Strom, von dem alle trinken können, der für viele da ist.
Das kann ich mir gut vorstellen, solch eine Quelle zu sein. Dankbar bin ich, dass ich immer wieder sprudeln darf, Energie habe und hoffentlich nicht versiege. Weiß ich doch, wie gefährdet wir Menschen sind, auszubrennen.
Jesaja sagt mir: Gott meint es gut mit uns, er hat seinen Segen reichlich über uns fließen lassen. So wie eine nie versiegende Quelle reichlich Wasser bringt und sogar zu einem Fluß heranwachsen kann. Wer Gottes Quelle in sich hat, kann davon weitergeben.
Am vergangenen Sonntag war auf dem Biohof Bobbert das große Erntedankfest für unsere Kirchengemeinde. An die 300 Menschen, jung und alt, haben dem Klang der Posaunen gelauscht, mitgesungen und sich von den Erntegaben der beiden Kitas daran erinnern lassen, dass die Ernte 2016 trotz mancher Einbußen wegen zu großer Trockenheit und zu starkem Regen im Frühsommer, gut ausgefallen ist und wir nicht hungern müssen. Es ist gut, wenigstens einmal im Jahr Gott danke zu sagen für seine Gaben.
Heute, eine Woche später, da soll ein anderes Dankeschön erklingen. Morgen feiern wir zum 26. Mal den Tag der Deutschen Einheit. Seit einigen Jahren ist es auch der Tag der offenen Tür in zahlreichen Moscheen. Dankbar schauen wir auf die zurückliegenden Jahre zurück:
Danke für 26 Jahre deutsche Einheit. Danke, dass uns diese große Aufgabe niemals um den Kopf geflogen ist und die Weltpolitische Lage damals bis vor kurzem einigermaßen stabil war. Danke, dass wir uns in Deutschland nicht nur in Ost und West angenähert haben, sondern dass in den letzten 10 Jahren auch der Verständigungsprozess mit den seit langem schon unter uns lebenden Muslimen in der Islamkonferenz auf höchster Ebene angestoßen wurde.
Danke, dass wir solange Frieden in unserem Land haben. Ein Frieden, der uns im vergangenen Jahr Kraft gab, fasteine Million Flüchtlinge einigermaßen geordnet unterzubringen.
Danke, dass wir dabei immer wieder Mut beweisen konnten, weil wir aufgrund unser christlichen Wurzeln und Werte aus einer nie versiegenden Quelle schöpfen können: Gottes Liebe, Gottes Barmherzigkeit, Gottes Geistkraft rüsten uns immer wieder neu mit Glaube, Hoffnung und Zuversicht aus, auch wenn es schwierig wird.Es ist der Segen Gottes, der nicht nur die Erntegaben wachsen lässt, sondern der uns immer wieder neu Kraft gibt.
Dieser Segen läßt uns Menschen zu einer nie versiegenden Quelle werden.
Eine Quelle, die sich anderen zuwendet, denen es nicht so gut geht.
Damals, vor mehr als 26 Jahren waren es die Menschen, die der DDR den Rücken kehrten.
So wie es die Zeitzeugin Antje M- Ernst berichtet:
„In die Freiheit? Der Zug rollt, die Tränen auch. Habe ich alles? Geige, Koffer, Pass, Visum? Meine Fahrt geht heraus aus der Enge, die DDR heißt. Die Eltern stehen am Bahnsteig. Ahnen sie schon, dass sie mich länger oder nie mehr wiedersehen werden?
Juni 1988. Eine Reise in den Westen ohne Rückfahrt – so habe ich es vor. Mein Ziel: studieren in Göttingen. In der DDR habe ich keinen Studienplatz bekommen. Leider passte meine Gesinnung nicht. Grenzkontrolle. Herzklopfen bis zum Hals – merken die nichts? Was ich alles im Koffer habe: Lieblingsfotos, Besteck, nicht nur Sommersachen, mein Tagebuch, Kopie meines Abizeugnisses. Nichts, was die Hunde interessiert, die im Zug herumschnüffeln. Die suchen wohl Menschen.
Helmstedt...Göttingen. Aussteigen. Fremder Geruch. Eine Freundin wartet auf mich; wieder Tränen. Sie nimmt mich mit in ihre kleine Bude. Ich kenne vieles nicht in diesen ersten Tagen im Westen. Bei Edeka wurde mir schlecht, obwohl alles so lecker aussah. Einfach zu viel, zu bunt, zu duftend, zu „über“. Will ich hier wirklich sein?
Begrüßungsgeld am nächsten Tag: 100 DM. Gleich mal rein zu New Yorker. Rückwärts wieder raus – könnte mich nie und nimmer für etwas entscheiden. Das braucht Zeit. Und dann wird es spannend. Ich klingele bei meiner Patentante. Die fällt fast um. Auch sie war vor vielen Jahren aus der DDR geflohen. Sie öffnet die Arme: „Du bleibst erst mal hier.“
Gott, ich danke dir, dass du bei mir warst, als ich mein neues Leben begann. Diese erste Zeit in dem unbekannten Land war schwer. Ich habe mich elend und allein gefühlt. Ich kannte weder Schwarze Bretter in der Uni noch Asta, Demos, Arbeitsamt oder Krankenkassen.
Gott, ich danke dir, dass ich Freunde fand und dass ich schon im nächsten Jahr meine Familie wiedersehen konnte.
Gott, ich danke dir für die Flügel und die Wurzeln, die du mir geschenkt hast.“
Wie sagt Jesaja es: Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!
Genau diese Worte des Propheten Jesaja werden von den Helferinnen und Helfern nicht nur in den zahlreichen Flüchtlingsinitiativen, sondern auch hier vor Ort, bei der Queller Tafel in die Tat umgesetzt.
Menschen handeln dabei wie eine nie versiegende Quelle, weil sie aus dem Segen Gottes leben.
Jeder, der sich daran beteiligt, merkt: mit meiner Phantasie, meiner Gabe, mit meinem Gebet helfe ich Gott, dass seine Erde ein bewässerter Garten für alle werden kann. Und dann habe ich auch noch was davon: Licht und Heilung, so sagt es Jesaja.
In einem Sprichwort heißt es: geteilte Freude ist doppelte Freude. Wer jemandem etwas gutes tut, der erlebt die Freude des anderen. Der erlebt die Dankbarkeit des Beschenkten. Diese Freude und diese Dankbarkeit, sie sind das Licht und die Heilung, von der Jesaja spricht. Denn wer immer nur für sich lebt, der bleibt einsam. Und Einsamkeit macht auf Dauer krank.
Auch zur Zeit des Propheten Jesaja gab es das Problem, dass es einigen schlechter ging als anderen und dass darüber Unfriede herrschte zwischen den Bevölkerungsgruppen. Die Deutsche Einheit ist seit 26 Jahren ein Grund zum Feiern, nicht aber sich zurückzulehnen.
Denn genausowenig wie sich das Volk Israel damals, als es aus dem Exil zurückkehrte, zurücklehnen konnte, genausowenig dürfen wir die zurücklassen, die sich zu Recht oder zu Unrecht als die Verlierer der Wiedervereinigung empfinden.
Jesaja formuliert es damals so: „Und es soll durch dich wieder aufgebaut werden, was lange wüst gelegen hat, und du wirst wieder aufrichten, was vorzeiten gegründet ward; und du sollst heißen: »Der die Lücken zumauert und die Wege ausbessert, daß man da wohnen könne«.“
Jesaja meint in unsere Zeit hineingesprochen: wenn Menschen einander helfen, Lücken in der Versorgung zu schließen, dann muß niemand neidisch auf den Wohlstand der anderen blicken: Neid führt nicht selten zu sozialem Unfrieden und Kriminalität. Die jüngsten Anschläge in Dresden auf eine Moschee und das Kongresszentrum zeigen das leider nur zu deutlich.
Mit Jesaja gesprochen: Eine Quelle, die sich verströmt, bleibt niemals einsam: Pflanzen wachsen an ihren Rändern, Vögel nisten darin und Menschen erfrischen sich an ihr. Und wer teilt, wie es Jesus und seine Jünger im Evangeliumstext von heute tun, der bekommt reichlich zurück.
Ja, wenn das so ist, dann will ich werden wie eine nie versiegende Quelle, dann will ich dem Hungrigen mein Brot brechen.
Danke, Gott für Deinen reichen Segen. Amen