Zweifel, Hoffnung, Auftrag

Von Prädikant Roland Schultze

Gnade und Friede von Gott unserem Vater, von dem der da war, der da ist und der da kommt. Amen

Johannes der Täufer sitzt im Gefängnis. Er hat Fragen an Jesus. Und er bekommt Antworten. 

Das ist unser Text von heute.

Johannes der Täufer und Jesus von Nazareth – Freunde, Cousins und irgendwie auch eine Arbeitsgemeinschaft, die wie das Neue Testament schreibt sich schon im Mutterleib das erste Mal begegnet sind. 

Die Mütter der beiden sind verwandt. Beide Frauen bekommen unter sonderbaren Umständen ein Kind.

Die Mutter von Jesus soll eigentlich noch keine Kinder bekommen und die Mutter von Johannes kann eigentlich gar kein Kind mehr bekommen.

Doch es kommen beide auf die Welt und gehen als erwachsene Männer einen ähnlichen Weg. 

Johannes führt ein karges Leben. Deshalb wird ihm unterstellt, er sei von einem Dämon besessen. Jesus lebt anders. Ihm wird unterstellt, er sei ein Fresser und Säufer.

Die Lust diese beiden Männer zu kritisieren oder abzuwerten war also ausgeprägt,

weil sie unbequeme Mahner waren. Dabei wird man es aber nicht belassen. 


Nun sitzt schon wieder der Falsche im Gefängnis – ausgerechnet Johannes, der, der sich wie Jesus gegen die Macht der Herrschenden stellt. Dies war mein zweiter Gedanke.

Johannes ist der, das Kommen Jesu vorbereitet hat.

Er hat ihn - Jesus angekündigt. Er hat ihn gesehen, er hat mit ihm gesprochen, er hat ihn sogar getauft. 

Er müsste doch wissen, wer Jesus ist.

Er hat es doch selbst vorbreitet.

Es war doch ganz klar. 

Und nun ist ihm alles fraglich geworden. 

In seiner dunkelsten Stunde im Gefängnis, im Angesicht des Todes ist Johannes voll Angst und Zweifel.

Habe ich das Richtige gesagt und getan und für das Richtige gelebt?

Eine wahrhaft dramatische Situation, da er weiß, dass sein Leben bald zu gehen wird. Zu ofthat er die Herrschenden ermahnt. Dieses Mal werden sie ihm nichts nachsehen.

Er der genau weiß, dass er eine weitere Chance nicht bekommen wird, dieser Mensch hadert und zweifelt. 

Und wenn doch alles falsch war?

Er sucht letzte Gewissheit und schickt seine Jünger zu Jesus und er bzw. die Jünger erhalten eine zweiteilige Antwort:

Hört! Seht! 

Blinde sehen, Lahme gehen, Taube hören, Tote stehen auf und den Armen wird das Evangelium gepredigt. 

Jesus von Nazareth ist also nicht gekommen, um mit roher Gewalt die Welt zu verändern, sondern handelt viel subtiler und nach unserem Verständnis mächtiger.

Nicht durch Gewalt, sondern durch langsame und stetige Transformation soll das Reich Gottes zu uns kommen. Nur dadurch entsteht Veränderung. 

Wir erfahren nicht, ob Johannes mit dieser Antwort zufrieden ist? Aber später werden sich die Jünger von Johannes dem Täufer den Jüngern Jesus anschließen und eine Gemeinschaft bilden.

Innerhalb der Kirche könnte dies ein Vorbild sein, das Verbindende zu betonen und nicht das Trennende.

Johannes der Täufer, der Jesus in allem voraus geht, wird Jesus auch in den Tod vorausgehen.

Er wird zuerst gedemütigt und dann getötet. 

Jesus selbst weiß also sehr genau, was denen blüht, die sich gegen den Trend stellen. Und Jesus macht trotzdem weiter. Vielleicht ist das das eigentliche Wunder. 

Und Johannes Eltern? Wie wird es denen wohl gehen? Sollten sie noch leben, wären sie sehr alt.

Johannes wird an seine Eltern gedacht haben, an seinen Vater Zacharias und an seine Mutter Elisabeth. Wie traurig mussten sie sein, dass ihr Kind nun im Kerker saß! 

Zacharias hatte es erst gar nicht glauben wollen, als ein Engel ihm dieses Wunder ankündigte. Aber bald darauf konnte er dann doch seinen Sohn Johannes in den Armen halten, stolz und fröhlich wie die meisten Väter, selbst wenn sie aufgrund von Ängsten und Zweifel während der Schwangerschaft geradezu sprachlos waren.

Und dieser Johannes schickt Boten aus dem Gefängnis heraus zu Jesus und will Antwort:

Bist du es wirklich? Was es das alles wert?

Wir wissen heute wie die Geschichte ausgeht.

Aber das lebensfreundliche Handeln des Jesus von Nazareth, seine Zuwendung zu den Menschen wird in den Horizont der alten Verheißung gestellt. 

Sie gibt den Rahmen, die Spur, wohin die Schüler des Johannes sehen 

sollen. Und was sie dann selber sehen und erkennen, das sollen sie dann an Johannes 

weitersagen. 

Aber einen Auftrag gibt es noch:

Selig ist, wer an mir nicht irre wird – so haben wir es gerade gehört.

Nun ist der Begriff“ irre“ heute nicht mehr politisch korrekt. 

Bis Mitte des letzten Jahrhunderts sprach von noch unbekümmert von „Irrenanstalten“. 

Ich selbst arbeitete, die Meisten werden es wissen, als Sozialarbeiter. 

Aber meine beruflichen Vorgänger waren „Irrenpfleger“.

Sprache verändert sich und die Abwertung, die heute mitschwingt in dem Begriff „Irre“, ist mir wohl bewusst. Heute wird wohl hauptsächlich das Verb „irren“ oder das Hauptwort „Irrtum“ benutzt.

Das Adjektiv „irre“ oder gar „die Irren“ ist nach heutiger Sicht abwertend gemeint und wird zu Recht nicht mehr verwendet.

Bei uns im Gottesdienst wollte ich es schon verwenden.

Wir sollen nicht irre werden. Keineswegs ist damit der Irrtum oder das verirren gemeint – nein - meines Erachtens die volle Härte gemeint. 

Wir werden selig, wenn wir an Jesus nicht irre werden. Das gilt für Johannes wie für uns.

Was ist nun wohl damit gemeint?

Ich biete Ihnen meine Interpretation an:

Ich bin orientierungslos, ich bin haltlos, ich bin ängstlich.

Ich habe keine Idee, wie ich mich aus meiner Notlage befreie – und ich beeinträchtige andere Menschen mit meiner Wahrnehmung von der Welt und mit meinen Forderungen.

Dann bin ich „irre“. Jesus scheint dieses zu wissen.

„Selig ist wer an mir nicht irre wird“. Angesichts der Krisen in der Welt und meinen eigenen Nöten ist dies leichter gesagt als getan.

Natürlich möchte ich, dass Jesus hier und heute in die Welt eingreift und 

- die Krisen löst,

- Frieden schafft, 

- mich gesund macht,

- und sich meine familiären Probleme auflösen.

und natürlich den ein oder anderen „Irren“ in der Politik bekehrt.

Aber Jesus greift nicht ein. Daran soll ich nicht verzweifeln.

Daran sind schon andere verzweifelt. 

Judas versuchte ein Eingreifen Jesu zu erzwingen und ist krachend gescheitert. Der wurde wohl doch irre.

„Aber wie werde ich denn nun nicht irre?“ möchte Matthäus fragen. 

Wir bekommen in diesem Bibeltext Hoffnung und Auftrag zugleich mitgeteilt:

Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören. Tote stehen auf und den Armen wird das Evangelium gepredigt. Das ist unsere Verheißung, das ist uns versprochen, daran dürfen wir glauben. 

Selbst wenn es uns nicht gelingt Heilungswunder zu vollbringen, so sind wir doch auch aufgefordert, uns um diese Menschen zu kümmern.

So können wir die Not unserer Mitmenschen möglicherweise ein wenig lindern.

Ich bin der festen Überzeugung, dass Gott ein Interesse an unseren Fragen und Antwortversuchen hat und an unseren, wenn auch teilweise gescheiterten Experimenten, Gemeinschaft zu leben.

Gott ist an unseren Geschichten interessiert und an unseren durch Jesus, durch Johannes den Täufer und andere biblische Gestalten inspirierten Lebensversuche.

Dann können uns die Antwortversuche und die Geschichten helfen, nicht irre zu werden.

Weitersagen, wiederholen, dranbleiben.

Im Horizont der Verheißung Gottes können wir offene Fragen aushalten, denn nur so gehen das Leben, die Gemeinschaft und der Glaube weiter.

Damit immer etwas zu sagen bleibt von Gott, von Johannes dem Täufer, von Jesus und von all den anderen biblischen Gestaltenund von Dir und mir. Amen.  

Und der Friede Gottes bewahre unsere Herzen und Sinne. Amen